Das letzte Lied – der letzte traditionelle Männerchor in der Stadt ist verstummt.

Ganz sang- und klanglos hat sich der Männerchor Frohsinn aufgelöst. Dies nach 118 Jahren Vereinsgeschichte.

08 maennerchor haupt

Der Sang ist verschollen, der Wein ist verraucht – so beginnt ein berühmtes Studentenlied in Moll, das gerne von Männerchören gesungen wird. Auf den letzten Männerchor in der Stadt Schaffhausen trifft diese Liedzeile nun voll und ganz zu. Der Männerchor Frohsinn hat sich aufgelöst. «Es war ein schwieriger Entscheid», sagt der letzte Vereinspräsident Richard Schnetzler. In den letzten Jahren habe die Zahl der aktiven Sänger mehr und mehr abgenommen. Immerhin: Aus 27 Kehlen ertönte zuletzt der Gesang. «Genauso kontinuierlich hat andererseits das Durchschnittsalter der Sänger zugenommen und erreichte über 80 Jahre.»

Gelungene Inszenierung: Der «Frohsinn» schwimmt wie zufällig singend vorbei, als das Schauspielhaus Zürich in Schaffhausen 2013 ein Betriebsfest feiert.

Die dadurch verbundenen gesundheitlichen Absenzen hätten die Probearbeit und Auftritte zusehends erschwert. «Als dann unsere langjährige Dirigentin Evelyne Leutwyler Mitte letzten Jahres in Pension ging, mussten wir uns ernsthaft fragen, wie es weitergehen soll», erzählt Schnetzler.

Keinen Nachwuchs gefunden

Ganz still und leise hat man sich schliesslich dazu durchgerungen, den Verein aufzulösen. Alle Bemühungen, Nachwuchs zu finden, seien in der letzten Zeit fehlgeschlagen. Mit seinen 68 Lenzen sei er das jüngste Chormitglied gewesen, sagt Schnetzler: «Es wurde uns klar, dass es über kurz oder lang zu Ende gehen würde mit dem Frohsinn», sagt Schnetzler. «Auch wenn es uns schmerzt, wollten wir nicht an den Punkt gelangen, wo es einfach nicht mehr geht.»

Der Männerchor singt «Blos e chlini Stadt»


 

Der Entscheid, den Verein aufzulösen, fiel schon vor der Coronakrise. Hätte man doch noch weitergemacht, wäre die Situation wohl der Todesstoss geworden, mutmasst Schnetzler. Da alle Mitsänger zur sogenannten Risikogruppe gehören, wären Chorproben nicht möglich, an Vereinsanlässe ist ebenfalls nicht zu denken – was wenigstens vorübergehend für alle Chöre in Schaffhausen und der Schweiz gilt. Auch die Ex-«Frohsinn»-Männer wollten sich nach der Auflösung jeweils einmal im Monat im Restaurant Schützenhaus im Säli treffen, um ein Glas zu trinken, Freundschaften zu pflegen und vielleicht ein oder zwei Lieder anzustimmen. «Wir haben untereinander momentan nur telefonisch Kontakt, und es sind soweit alle gesund, das ist das Wichtigste», sagt Schnetzler.

Der Männerchor singt «Das Morgenrot»


 

Teil einer einst reichen Chorszene

Mit der Auflösung des «Frohsinns» verstummt nun der letzte traditionelle Männerchor in der Stadt Schaffhausen. Abgesehen vom 1863 gegründeten Männerchor Hemmental – das Randendorf wurde erst 2008 in die Stadt eingemeindet – listet der kantonale Chorverband noch fünf reine Männerchöre auf, alle auf dem Land: So gibt es noch reine Männerchöre in Buchberg, Wilchingen, Hallau, Büsingen und in Ramsen. Dabei war das Chorwesen vor ­allem in der Stadt besonders ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Nachkriegszeit hinein wie überall ein reiches. Es gab Arbeiterchöre, Chöre von Berufsgruppen, Chöre, deren Mitglieder sich vor weltanschaulichem Hintergrund zusammentaten oder um ein spezifisches Repertoire zu pflegen – nebst Geselligkeit und Gesang.

Der Männerchor singt «Das Ave Maria der Berge»


 

So begann auch die Geschichte des «Frohsinns», und zwar im Jahr 1901. 45 Herren ­taten sich zusammen als «Section des kath. Männer-Arbeiter-Vereins». Die meisten Mitglieder rekrutierten sich also aus dem katholischen Minderheitsmilieu in Schaffhausen – was sich aber im Lauf der Jahre schnell ändern sollte. «Die Konfession hat schon lange vor unserer Zeit überhaupt keine Rolle mehr gespielt», sagt René Morgenthaler, der letzte Vereinsaktuar. Nach dem Krieg erreichte der Chor eine stolze Grösse von 87 Sängern.

Sie pflegten traditionelle Männerchorliteratur, aber auch Schlager und Heimatlieder: Chormitglieder beim letzten öffentlichen Auftritt 2019 im Saal des Restaurants Schützenhaus.


Morgenthaler selber hat dem Chor seit 45 Jahren angehört. «Als Zuzüger war es ein guter Weg, mich hier zu integrieren», sagt er, dessen Tochter Andrea die Männer zuletzt am Klavier begleitete. Er erinnert sich gern an Highlights, wie ein Auftritt im Vorprogramm des Zirkus Gasser, die Sängerfeste, die Fasnachtsbälle in den Achtzigerjahren – aber auch an den traditionellen «Schlüferliverkauf» auf dem Fronwagplatz oder die Auftritte in Altersheimen oder im Gottesdienst der Kirche Steig, wo sich das letzte Probenlokal befand. Am meisten vermissen wird er die geselligen Anlässe. «Na ja, manchmal haben wir nach dem Singen schon noch ein wenig tief ins Glas geschaut, aber das gehörte halt auch ein wenig dazu», sagt Morgenthaler schmunzelnd.

«Recht hoher Anspruch»

«Singen mit Herz» lautete das Motto des letzten traditionellen Männerchores der Stadt. Das Herz, es hat nun aufgehört zu schlagen. «Was bleibt, sind viele Erinnerungen und viele Freundschaften. Und Letzteren bleibt man treu», sagt die letzte Dirigentin, Evelyne Leutwyler. Sie hat vor ihrer Pensionierung mehrere Chöre in der Region geleitet. Die letzten zwölf Jahre leitete sie ihre Mannen. «Es war mein Lieblingschor. Es sind alles so anständige, lebensfrohe Herren, und ich habe keinen anderen Chor erlebt, wo der Vorstand und die Mitglieder so engagiert und gut vorbereitet waren», sagt die Musikerin.

«Es war mein Lieblingschor. Es sind alles so anständige und lebensfrohe Herren.»

Evelyne Leutwyler, Dirigentin Männerchor Frohsinn ab 2008

Helene Bieler vom kantonalen Chorverband bedauert die Auflösung des «Frohsinns» ebenfalls. «Es geht ein Stück Kulturgut verloren. Der Männerchor Frohsinn war ein Chor mit einem gewissen Ansehen und einem recht hohen sängerischen Anspruch.» Noch vor 50 Jahren, erinnert sie sich, habe der kantonale Chorverband weit über 40 Chorgemeinschaften gezählt – heute sind es noch 29 Laienchöre. Aber das Repertoire und die Zusammensetzung habe geändert. Heute sei man mehr von Projekt zu Projekt unterwegs und weniger am Vereinsleben per se interessiert. Bieler bedauert aber noch etwas anderes: «Mit jedem Männerchor verschwindet auch das Liedgut, die spezifische Männerchorliteratur, die uns seit der Romantik so einen reichen Schatz an Kompositionen beschert hat.»

Der Männerchor singt «Entschuldigung»


 

Erinnerungen, die bleiben …

Man habe an der allerletzten Vereins-versammlung noch einmal in Bildern, Gesängen und Anekdoten die guten alten Zeiten des «Frohsinns» aufleben lassen. Und im Wissen, dass es wohl nicht mehr lange dauern würde, hat der Chor im letzten Sommer eine CD aufgenommen. «Einfach so für uns, als Erinnerung», sagt Schnetzler. Ein letztes Lied noch, bevor es «Adieu, Frohsinn» hiess. Getreu dem Vereinsnamen sollten es in der Mehrzahl fröhliche Lieder sein – und sicher wird der eine oder andere Herr beim Anhören heute einen Kloss im Hals verspüren oder sich verstohlen ein Tränchen aus dem Auge wischen.